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„Alle werden mehr haben“ – TA-Interview

Alle werden mehr haben, in: Thüringer Allgemeine, 28. November 2017.

Kritiker des Biosphärenreservats führen ziemlich unschöne E-Wörter im Mund: Von Enteignung der Flächeneigentümer ist die Rede, von Entwertung der Grundstücke, von Entwicklungshemmnissen für Gemeinden, gar von drohender Entvölkerung. Haben Sie mit einem derartigen Widerstand gerechnet?

Da fällt mir spontan das E-Wort „Entwicklungsperspektive“ ein. Das Biosphärenreservat wäre eine Entwicklungschance für die gesamte Region. Das ist wie ein Qualitätssiegel für die Einmaligkeit des Naturschatzes in Südharz und Kyffhäuser. Biosphärenreservate sollen besondere Erholungs- und Arbeitsorte sein. Schonende Wirtschaftsweisen sollen erprobt werden, eine eigene Dachmarke wie in der Rhön kann entstehen, touristisch wird die Region zum Magnet. Mein Ansatz ist: Niemand wird weniger haben, aber alle mehr. Darüber rede ich auch und gerade mit den Skeptikern.

Wie soll das konkret aussehen? Für die Veranstaltungen des moderierten Diskussionsprozesses scheinen ja doch nur die Befürworter ihren Feierabend zu opfern und die aus ihrer Sicht Betroffenen…

Deshalb hat ja das externe Moderationsteam seine Arbeit aufgenommen. Dieses Team soll vor Ort immer ansprechbar sein. Im Januar werde ich die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister der Region treffen und ihre Fragen beantworten. Wir gehen Schritt für Schritt vor. Und wenn ich eine Einladung bekomme, komme ich auch gern vor Ort.

Sie sind also bereit, auch in der „Höhle des Löwen“ von den Vorzügen zu überzeugen?

Natürlich. Denn die Menschen können und werden davon profitieren! Ihnen liegt ihre Heimat genauso am Herzen wie mir. Ich will, dass die schöne Südharzregion erhalten und auch für kommende Generationen Lebensgrundlage sein kann, also wirtschaftliche Effekte entsstehen. Hierzu haben wir auch für die Naturschutzgebiete Südharz und Kyffhäuser eine Studie in Auftrag gegeben…

… die allerdings erst im Mai präsentiert werden soll. Warum so spät? Sie brauchen doch jetzt Argumente…

…die wir schon aus ähnlichen Projekten haben. Für den Hainich zum Beispiel lässt sich belegen, dass binnen kürzester Zeit dank des Nationalpark-Status rund 200 neue Arbeitsplätze entstanden sind. Wenn es gelingt, bei den großen Reiseveranstaltern gelistet zu werden, werden unsere Naturschätze echte Anziehungspunkte. Konkrete Ideen müssen natürlich aus der Region kommen. Neustadt macht es vor: Der dort sich etablierende Gesundheits- und Wellnesstourismus wird Alleinstellungsmerkmal für eine ganze Region. Und noch einmal: Keine Fläche verliert an Wert.

Können Sie zusichern, dass kein Bauer ohne seine Zustimmung Intensivlandwirtschaft auf Flächen aufgeben muss beziehungsweise auf extensiv umstellen muss?

Ja, niemand muss solche Sorgen haben. Es soll schließlich gemeinsam wachsen. Landwirtschaftliche Nutzflächen können nur mit Zustimmung des Eigentümers Teil des Biosphärenreservats werden, etwa als Teile der Pflegezone. Dafür soll es bis 2020 eine großzügige Förderung geben, durch das Bundesprogramm „Biologische Vielfalt“. Ich bin zuversichtlich, dass unser Antrag darauf Erfolg hat. 4,6 Millionen Euro könnten dann in die Region fließem: 75 Prozent vom Bund, 25 Prozent vom Land. Die Idee dahinter ist, landwirtschaftliche Nutzflächen mit geringen Ertragszahlen zu entwickeln. Insbesondere geht es um die Unterstützung der Schäfer als wichtigem Partner für uns in der Landschaftspflege.

Muss sich die Gipsindustrie Sorgen machen?

In der Entwicklungszone des Biosphärenreservats wird Gipsabbau da weiterhin möglich sein, wo Berkwerkseigentum besteht und Anträge formal zulässig sind. In der Kern- und Pflegezone wird es keine Abbaugebiete geben. Insofern ist der pauschale Vorwurf, das Biosphärenreservat gefährde Arbeitsplätze, völlig unzutreffend.

Droht im Regionalplan ausgewiesenen Vorrangflächen für den Gipsabbau ein höherer Schutzstatus?

Durch das Biosphärenreservat droht kein solcher.

Das Ellricher Gipsunternehmen wendet ein, dass eine Fläche am Steinbruch Rüsselsee, auf der Probebohrungen genehmigt wurden, zumindest in einem von Ihrem Ministerium geplanten neuen Naturschutzgebiet liegt.

Dort handelt es sich um Flächen in einem bestehenden Natura-2000-Gebiet. Dieser Einzelfall wird noch weiter geprüft.

Sie hatten voriges Jahr eine Bundesratsinitiative zum Gipsrecycling auf den Weg gebracht – mit welchem Effekt?

Der Bundesrat hat jetzt die Bundesregierung beauftragt, mit einem Gesetz dafür zu sorgen, dass Ressourcen effizienter eingesetzt werden. Nun ist die Bundesregierung am Zug. Klar ist: Recycling ist eine Perspektive für endliche Rohstoffe. Ich finde unser kostbarer Gips ist zu schade um nach wenigen Jahren beim ersten Sanieren raus gerissen und dann als Abfall entsorgt zu werden. Wir müssen Stoffkreisläufe schließen! Das ist auch für die Gipsindustrie, die ja nicht nur in Generationen denkt, eine wichtige Aufgabe: neue Geschäftsfelder in den Blick zu nehmen. Gipsrecycling gehört dazu.

Zum Wald: Leute haben Angst, in einem Biosphärenreservat könnten sie kein Brennholz mehr holen. Wird der Wald wie bisher, also uneingeschränkt, Holzlieferant sein dürfen?

Ja, in der Pflege- und Entwicklungszone ändert sich nichts. Dort kann wie bisher mit forstlicher Erlaubnis Holz geschlagen werden. Was wir als Kernzonen eines Bisophärenreservates sehen, sind ohnehin schon nutzungsfreie Zonen des Staatsforsts

Rund um den Possen wird seit Monaten diskutiert, weil Sie einen Teil der 3000 Hektar zur Wildnis machen wollen. Für die Kernzone eines Biosphärenreservats?

Nein. Die Diskussion um den Possen steht in keinem Zusammenhang mit dem Biosphärenreservat. Vielmehr wollen wir der EU-Vorgabe nachkommen, mindestens fünf Prozent der Waldfläche Natur sein zu lassen. Bis Jahresende wollen wir zum Possen entscheiden.

Zurück zum Biosphärenreservat: Wohngebiete, Umfahrungen, Gewerbeflächen, all das soll in der Entwicklungszone weiter möglich sein, aber nur in Abstimmung mit der Unteren Naturschutzbehörde. Wie reagieren Sie auf daraus resultierende Skepsis?

Die kommunale Planungshoheit bleibt in den Entwicklungszonen absolut unangetastet. Da verlieren die Bürgermeister nichts, gewinnen dafür aber die Möglichkeiten, neu für ihre Region zu werben. Wenn sie die Chance ergreifen möchten. Denn ohne ihre Unterschrift wird es kein Unesco-Biosphärenreservat geben.