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„Spitzenkandidaten im Porträt: Anja Siegesmund, Ministerin mit Durchsetzungskraft“ in der TLZ

Anja Siegesmund führt die Thüringer Grünen zum zweiten Mal in die Landtagswahl.

Fabian Klaus, Porträt „Anja Siegesmund, Ministerin mit Durchsetzungskraft“, in: TLZ, 16.10.2019

Politik bei Twitter? Kein Problem. Anja Siegesmund (42/Grüne) kennt sich bestens aus und steht beispielhaft dafür, dass sich nicht nur Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) auf die Kommunikation in den sozialen Medien versteht. Immerhin gelang es Siegesmund im vergangenen August, den Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) über den Nachrichtendienst dazu zu bewegen, einen Besuch in Thüringen zu versprechen, bei dem die Zukunft der „Thüringer Strombrücke“ zu diskutieren war. 

Geredet wurde viel in den vergangenen Jahren. Zufrieden ist Siegesmund, die in dieser Legislaturperiode das ihr scheinbar (fast) auf den Leib geschneiderte Thüringer Ministerium für Umwelt, Energie und Naturschutz – einzig die Landwirtschaft fehlt der Grünen zur aus ihrer Sicht perfekten Zusammenstellung des Ressorts – führt, mit der Bundespolitik dennoch nicht. Zum Klimapaket warf sie Altmaier jüngst vor, ein „Päckchen Trostpflaster“ verteilt zu haben – übrigens auch per Twitter. 

Deutliche Worte. Ist das wirklich die immer so freundlich wirkende Anja Siegesmund aus Jena? Ja. Zwar verliert die 42-jährige Mutter dreier Töchter selten ihr Lächeln; auf ein klares Wort versteht sie sich dennoch. Weil die Grünen 2014 nur knapp wieder in den Thüringer Landtag eingezogen sind, wusste Siegesmund, dass ihre Partei nur dann nicht zerrieben werden würde zwischen Linken und SPD, wenn sie vernehmbar bleibt. Im Unterschied zu ihrem Parteifreund, Justizminister Dieter Lauinger, gelang Siegesmund das vorzugsweise mit politischer Arbeit – damit machte sie sich nicht nur Freunde und war steter Risikofaktor für den Koalitionsfrieden, konnte aber einige Pflöcke einschlagen. 
Urwald rund um den Possen gerät zum Streitobjekt 

Stichwort Wassergesetz: Dass das auf den Weg gebracht wurde, sorgte vielerorts für Zustimmung. Mitglieder der Anti-Fracking-Bürgerinitiativen werfen der Ministerin zwar bis heute indirekt vor, dass es nicht gelungen ist, zwingende öffentliche Beteiligung bei großen raumordnenden Verfahren in das Gesetz zu implementieren. Aber Siegesmunds Bekenntnis, dass es in Thüringen kein Fracking – also kein Verpressen einer Flüssigkeit durch eine Bohrung zur Gewinnung von zum Beispiel Gas – geben wird, nimmt man ihr dennoch ab. Gleichwohl es wegen der fehlenden öffentlichen Beteiligung etwas abgeschwächt wirkt. Im Kabinett Ramelow hat Siegesmunds Durchsetzungskraft vor allem ihre Kollegin aus dem Infrastruktur- und Landwirtschaftsministerium zu spüren bekommen. 

Die Entstehung von Urwald rund um den Possen geriet zum Streitobjekt zwischen ihr und Birgit Keller (Linke). Am Ende setzte sich die Grüne durch, muss sich aber weiter hartnäckiger Angriffe auf eines ihrer Lieblingsprojekte aus dem Keller-Haus erwehren. Innenminister Georg Maier (SPD) kann ebenfalls ein Klageliedchen über den „kleinen“ – und aufmüpfigen – Koalitionspartner pfeifen. 

Als der Sozialdemokrat 50 Millionen Euro übrig hatte aus dem Gebietsreform-Topf und die gießkannenartig auf die Kommunen verteilen wollte, grätschte Siegesmund („In der Koalition hat es andere Verabredungen gegeben.“) dazwischen. Sie forderte, Geld für die Brunnendörfer in Ostthüringen bereit zu stellen – auf ihrer Sommertour hat sie in diesem Jahr nun den Startschuss dafür gegeben, dass einige der Orte endlich an die zentrale Wasserleitung angeschlossen werden können. 
Siegesmund bringt Klimagesetz auf den Weg 

Ein anderes Beispiel für ihre Hartnäckigkeit: Auf dem Weg zum Klimagesetz, es ist das erste seiner Art in den neuen Bundesländern, hagelte es Kritik von allen Seiten – die Union nannte es wirtschaftsfeindlich, Umweltschützern ging es nicht weit genug. Den Kompromiss brachte Siegesmund dennoch auf den Weg. 

Bei den Grünen, die sie nach 2014 nun erneut gemeinsam mit Dirk Adams als Spitzenkandidatenduo in die Landtagswahl führt, gilt die gebürtige Geraerin, die mit ihrer Familie in Jena zu Hause ist, mittlerweile als unangefochten. Oder, mit den Worten, die der Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Bundestag, der Thüringerin Kathrin Göring-Eckardt, über Siegesmund nachgesagt werden, formuliert: „Unser Pfund heißt Siegesmund.“ Die, über die von der Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Bundestag so euphorisch gesprochen worden sein soll, ist ihre einstige Mitarbeiterin. 

Siegesmund leitete das Wahlkreisbüro in Erfurt bis zum Einzug der Grünen in den Landtag 2009. Danach stand sie als spätere Vorsitzende ihrer Fraktion im Landesparlament auf einmal selbst in der (landespolitisch) ersten Reihe – gewann einen innerparteilichen Machtkampf. 
Auch Kritiker in den eigenen Reihen 

Nicht immer läuft es da, zwischen Parteilinken und Realos, geräuschlos. Die Kandidaten-Nominierung 2013 ist so ein Beispiel. Siegesmund wurde erstmals Spitzenkandidatin, allerdings mit weniger als 80 Prozent gewählt – und das ohne Gegenkandidatin. Bei der Nominierung für die anstehende Landtagswahl in diesem Jahr kam sie auch nur auf 81,7 Prozent der Stimmen der anwesenden Delegierten. 

Der gebürtigen Geraerin, die wie ihr Co-Spitzenkandidat Dirk Adams dem Realo-Flügel der Partei zugerechnet wird, dürfte ein solches Ergebnis allerdings lieber sein, als eine 100-prozentige Zustimmung. „Ich darf Ihnen versichern, dass unser Verständnis von innerparteilicher Demokratie 100-Prozent-Ergebnisse […] nahezu ausschließt“, sagte die evangelische Christin mal in einem Interview. Ihre politische Laufbahn begann Siegesmund 2002, als sie sich den Grünen anschloss. 

Kritiker in den eigenen Reihen hat die Spitzengrüne dennoch. Murren löste sie erst kürzlich aus, als sie zum beginnenden Landtagswahlkampf sagte, dass sie sich für eine Vier-Parteien-Koalition mit CDU, SPD, Grünen und FDP erwärmen könnte, wenn es für eine Fortsetzung von R2G nicht reicht. 
Rothe-Beinlich verliert Machtkampf gegen Siegesmund 

In den eigenen Reihen entstand der Eindruck, Siegesmund würde nicht an eine Fortsetzung der Arbeit von Linke, SPD und Grüne glauben – allerdings hatte sie stets betont, dass diese Koalition ihr die liebste Lösung sei. Kritik an ihrer Alternativ-Lösung kam von der Fraktions-Geschäftsführerin Astrid Rothe-Beinlich, die 2009 Grüne-Spitzenkandidatin war, dann aber den bereits beschriebenen Machtkampf gegen Siegesmund verlor. Kurz drohte der zehn Jahre alte Machtkampf nun erneut aufzubrechen – was aber ausblieb. 

Dass Siegesmund für eine weitere Amtszeit als Umweltministerin gesetzt wäre, gilt als sicher.