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Abgehängt wird nur, wer sich abhängen lässt…

Gestern in Jena Paradies. Auf Gleis 1 am Bahnhof hielt der vorerst letzte ICE aus Richtung Berlin 20:51 Uhr, Reisende stiegen ein und aus, um dann weiter nach München zu fahren. Auf Gleis 2 wiederum hielt vorerst der letzte ICE in Jena aus Richtung München kommend um 21:06 Uhr. Abschied. Reisende trafen auf Ortsansässige, Tempo auf Langsamkeit. Vier Roccos auf Kamerateams.

Letzt genannter ICE war nicht pünktlich und der Abpfiff ertönte später, als geplant, aber BahnfahrerInnen und jene, die dem letzten ICE Lebe-wohl singen wollten, sind geduldig. Und so versammelten sich auf dem Bahnhof Jena Paradies viele, die seit Jahren kämpfen für die bleibende Anbindung des Raumes Ostthüringen, UnternehmerInnen ebenso, wie WissenschaftlerInnen und Engagierte des Fahrgastverbandes Pro-Bahn und viele Roccos (dazu später mehr), die das Land bewegen und kreativ demonstrieren wollen unter dem Motto: „Abgehängt wird nur, wer sich abhängen lässt.“

In dieser Nacht änderte sich auch bundesweit ein Drittel der Fahrpläne der im Eisenbahnnetz verkehrenden Fernzüge. Diese Fahrplanänderung war so umfangreich wie noch nie und nötig geworden, weil ein anderer Superlativ ans Netz ging. Nach 25 Jahren ist die VDE 8., also die Rennstrecke München – Berlin über Erfurt, fertig geworden. Zehn Milliarden Euro wurden verbaut, das entspricht dem kompletten Landesetat des Landes Thüringen für ein Jahr. Die 623 Kilometer (über Halle) können Bahnfahrende nun in knapp 4 statt 6 Stunden im ICE mit 300 Kilometer/Stunde hinter sich bringen. Fast wie im Flug. Ein Prestigeprojekt, über das die Bahn die Anbindung in die Fläche vernachlässigte und das, wo nachhaltige Mobilität immer wichtiger ist.

Es gibt eben nicht nur Gewinner an der Rennstrecke, sondern auch Verlierer, zum Beispiel Lichtenfels, Weißenfels, Jena, Weimar und Naumburg. Auf einen Schlag fällt hier nun ein Großteil des Fernverkehrs weg, ist man „abgehängt“. Dagegen, dass gerade in der Wissenschaftsstadt Jena, mit über 25000 Studierenden und Wissenschaftlern die Erreichbarkeit mit banalen Expresslinien genügen soll, wird und will sich hier keiner gewöhnen. Deshalb ist klar: So wie es jetzt ist, kann es nicht bleiben.

Deshalb gelten die Verabredungen des Bahngipfels, den die rot-rot-grüne Landesregierung initiiert hat. Sie müssen jetzt zügig umgesetzt werden. Dazu zählen:

  1. Ab 2023 rollen wieder IC-Züge im 2-Stunden-Takt auf der Nord-Süd-Verbindung durch das Saaletal über Jena.
  2. Jena wird zum IC-Knoten, auf dem sich Fernzüge kreuzen. Dazu braucht es die städtebaulichen Vorraussetzungen und eine Diskussion aus der Stadt heraus, wo und wie ein bestehender Bahnhof ertüchtigt oder neu gebaut werden kann, um die Knotenfunktion zu erfüllen. Hier bedarf es auch einer Anbindung des Nahverkehrs.
  3. Bis es so weit ist, benötigen wir ein Übergangsangebot und das wird auch kommen. Ab Fahrplanwechsel 2018 rollen zusätzliche Züge im 2-Stunden-Takt zwischen Saalfeld, Jena und Leipzig, die das Land zusätzlich auf eigene Kosten bestellt.
  4. Der Ausbau der Mitte-Deutschland-Bahn muss endlich kommen. Wir brauchen die flächendeckende Anbindung Ostthüringens, also auch Geras u.a. Seit 20 Jahren wird über den zweigleisigen Ausbau und die Elektrifizierung der am stärksten frequentiertesten Pendlerstrecke in Thüringen geredet und geredet und geredet. Jetzt soll sie kommen. Sie muss kommen. Dann ist die schnelle Anbindung nach Erfurt im S-Bahn-Takt auch machbar und die Turbo-ICEs erreichbar.
  5. Insgesamt investiert das Land bis 2023 34 Millionen Euro, um bauliche Voraussetzungen zu schaffen und zusätzliche Züge zu bestellen, damit die Ostthüringer Region erreichbar ist und damit auch die Fläche bedient werden kann.

Die Stärke der Region ist es, dass sie kreativ protestiert und konstruktiv nach Lösungen sucht. Dass das „Bewegte Land“, also eine Kunstinstallation auf 30 Kilometern „Bühne“ auf der Strecke Jena-Naumburg bundesweit so viel Beachtung fand, ist ein Beispiel dafür. Im Sommer rannte so der schnellste Mann des Saaletals, Rocco, in zigfacher Ausführung mit dem Zug um die Wette. Die Idee: Hase und Igel-Spiel und Gedanken in einer bewegten Zeit, in der Geschwindigkeit alles ist. So wird Kunst zum Ausdruck einer not-gewordenen Pause von der Geschwindigkeit, bis wir 2023 wieder mithalten können. Das „Bewegte Land“ wagte den Versuch, der Geschwindigkeit zu trotzen. „Entlang der Zugstrecke Jena Paradies – Naumburg inszenierte das Berliner Künstlerduo Datenstrudel Begegnungen. Reisende trafen auf Ortsansässige, Tempo auf Langsamkeit, Urbanität auf Landidylle.“ Neugierig? Das ‚Making-Of“ zum Bewegten Land gibt es hier.

Fürs Making-Of des IC-Knotens müssen jetzt Stadt, Land, DB und Pro-Bahn Material sammeln. Gemeinsam. Ab jetzt.