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Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau

Vom Todesstreifen zur Lebenslinie. Das Grüne Band Deutschland steht für die Geschichte eines geteilten Europas. Zugleich steht es für die europäische Friedensidee.

In diesen Tagen des Gedenkens an 30 Jahre Friedliche Revolution gibt es viele gute und passende Orte der Erinnerung. Mein Lieblingsort ist 1400 Kilometer lang: Das Grüne Band Deutschland, das seit 30 Jahren für eine einzigartige Verbindung von Erinnerungskultur und Naturreichtum steht. Der ehemalige Todesstreifen wurde zur Lebenslinie.

Immer wieder bin ich entlang des Grünen Bandes unterwegs – zu Fuß, mit dem Rad oder Schlauchboot. Ich komme mit Menschen aus der Region ins Gespräch und zusammen bestaunen wir, was für eine Naturvielfalt im Schatten der Grenze entwickelt hat: Am Harzer Grenzweg, im Schiefergebirge und Frankenwald, in der hügeligen Landschaft der Rhön, entlang der Werra und ihrer Auenlandschaften, der Saale, dem Erinnerungsort West-Östliches Tor, das 2002 noch von Michail Gorbatschow eingeweiht wurde. Unterwegs werden immer wieder Reste der Grenzbefestigungsanlagen sichtbar. Hier  wird Geschichte lebendig. Von 1954 stammt die DDR-Anordnung zur Einrichtung eines „Sperrgebiets“ entlang der Grenze. So entstand dann eine vorgelagerte 5-Kilometer-Sperrzone, gefolgt von 500 Meter breiten Schutzstreifen und dem Kontrollstreifen unmittelbar vor dem Grenzzaun. Hinter dem Grenzzaun  bis zur eigentlichen Grenzlinie: ein Niemandsland. Und genau hier können wir jetzt unterwegs sein. Zu den besonders geschützten Arten, die hier zuhause sind zählen Fischotter und Gelbbauchunke, Schwarzstorch und Blaukehlchen, Schmetterlinge wie der Wiesenknopf-Ameisenbläuling.

Thüringen hat den größten Anteil am Grünen Band Deutschlands: 763 Kilometer, die wir im vergangenen Jahr als Landesregierung unter Schutz gestellt haben als Nationales Naturmonument. Heute ist jede der Begegnungen am Grünen Band mit einem Blick zurück und einem Blick nach vorn verbunden. Das ist eigentlich das, was unsere Gesellschaft in diesen Tagen umso mehr bracht. Mario Goldstein, ein Filmemacher und Abenteurer hat hier zu Fuß seine eigene frühere Fluchtgeschichte verarbeitet und ist die 763 Kilometer in 53 Tagen abgewandert. Das geht also auch. Er – der schon viel in der Welt unterwegs war –  hat dazu gesagt: Das war eines meiner emotionalsten Abenteuer. Es muss nicht das ganze Band sein, aber man kann auch kleinere Etappen des Grünen Bandes als Pilgerreise nutzen. Mittlerweile hat er seine Wanderungen entlang des Grünen Bandes in ganz Deutschland fortgesetzt. Ein gebürtiger Coburger, der sich später bei der Stiftung Naturschutz Thüringen engagierte,  sagte mir:  „Die Grenze war für mich eine fürchterliche Unmenschlichkeit – aber auch ein Naturraum. Als ich 1989 zum ersten Mal am Kolonnenweg war, ist mir ein Schauer über den Rücken gelaufen. Hier entsteht etwas Einmaliges.“  So geht es hier vielen. Ein ehemaliger Bürgermeister, der das Grenzlandmuseum Teistungen mit aufgebaut hat, erzählte: „Nach der Wende haben wir uns gefragt, was hier werden soll. Viele wollten die Symbole der Unterdrückung nicht mehr sehen. Wir fanden: Die Menschen, die nach uns kommen, dürfen nicht vor einem leeren Feld stehen. Sie sollen erfahren können, was damals geschehen ist. Wir müssen also die Chancen bewahren, sich auch später noch mit dieser Geschichte beschäftigen zu können.“

Das Grüne Band steht für die Geschichte eines geteilten Europas. Zugleich steht es wie kein anderes als Synonym für die europäische Friedensidee: Wir haben die Teilung hinter uns gelassen. Ich finde: Drei Jahrzehnte nach der Überwindung von Mauer und Grenzen ist es nun endlich an der Zeit, aus dem Grünen Band einen bundesweiten Erinnerungsort zu machen. Alle beteiligten Bundesländer sollten dafür ein Nationales Naturmonument ausweisen. Sachsen-Anhalt ist nach Thüringen bereits kurz vor dieser Entscheidung.

Wanderungen zwischen den Grenzlandmuseen durch ehemalige Sperrgebiete schärfen den Blick für Natur und Geschichte. Für uns alle, aber gerade auch für junge Menschen wird diese Erfahrung immer wertvoller, je weiter die deutsch-deutsche Teilung zurückliegt. Wir sprechen von einem einzigartigen ökologischen Denkmal deutscher Geschichte, das naturtouristisch einiges zu bieten hat und als Ganzes Anerkennung und Schutz verdient. Deshalb ist auch eine Nominierung als Welterbe geeignet. Die lückenlose Ausweisung eines Nationalen Naturmonuments am Grünen Band in allen betroffenen Bundesländern Deutschlands, wäre dafür ein wichtiges Zeichen mit europäischer Wirkung.

Thüringen hat den Anfang gemacht. Jetzt ist es an der Zeit, dass in Berlin der Blick dafür geschärft wird, was wir in der Mitte der Republik für einen charismatischen Ort  für Erinnerung, Versöhnung und Naturgenuss haben. Das ist das echte Denkmal 30 Jahre nach der friedlichen Revolution. Keine Wippe, keine Inschrift – die grüne Brücke mitten in Europa selbst.

 – Der Gastbeitrag wurde am 26. September 2019 in der Frankfurter Rundschau veröffentlicht. –