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energate-Interview: „Klimakrise ist zu dramatisch für halbe Sachen“

Berlin (energate) – Die thüringische Umweltministerin Anja Siegesmund (Grüne) hält die Klimabeschlüsse der Bundesregierung für nicht ausreichend. Es fehle unter anderem das klare Bekenntnis zum Ausbau der erneuerbaren Energien, sagte sie im Interview mit energate. Darin spricht sie auch über die Bilanz ihrer Landesregierung beim Klimaschutz, über den Netzausbau und die Wasserstoffstrategie.

Frau Siegesmund, Sie sind seit 2014 im Amt. Welche Projekte waren Ihnen besonders wichtig?
Wesentlich ist das Landesklimaschutzgesetz, das wir im Dezember 2018 verabschiedet haben. Parallel dazu haben wir eine Strategie erarbeitet, die nun ebenfalls fertig ist. Sie sieht unter anderem vor, dass wir uns bis 2040 komplett aus erneuerbaren Energien versorgen wollen. Wir haben in den vergangenen Jahren zudem Förderprogramme im Umfang von 100 Mio. Euro auf den Weg gebracht, für mehr Klimaschutz in Unternehmen oder Kommunen oder den Ausbau der Solarenergie, nachdem der Bund hier auf die Bremse getreten ist. Ein wichtiges Detail ist auch der Klimapavillon, der durch das Land tourt und in dem Bürgerinnen und Bürger über Klimaschutz diskutieren können.
Auch die Bundesregierung hat ein umfangreiche Klimapaket verabschiedet. Wie bewerten Sie dies aus Landessicht? Der Maßstab sind die Klimabeschlüsse von Paris. Daran gemessen ist das Paket der Bundesregierung nicht ausreichend. Vieles mag gut gemeint sein, aber die Klimakrise ist einfach zu dramatisch für halbe Sachen. Wir brauchen mehr als nur Trostpflaster. Ich vermisse etwa das klare Bekenntnis zum Ausbau der erneuerbaren Energien oder zur einer wirksamen und sozial gerechten CO2-Bepreisung.
Ministerin Schulze sieht im Klimaschutzgesetz und dem Bekenntnis zur Klimaneutralität eine deutliche Verschärfung… Ich nehme wahr, dass das jährliche Monitoring aus dem Gesetz getilgt wurde. Sicherlich gibt es sinnvolle Maßnahmen wie die Senkung des Mehrwertsteuer auf Bahntickets oder die Förderung der energetischen Sanierungen, das alles haben wir schon lange gefordert. Aber von einem Klimakabinett, das über Monate tagt und zum Schluss fast 24 Stunden am Stück, hätte ich einen wirklich großen Wurf erwartet. Der ist es aber nicht.
Die CDU wirbt für einen nationalen Klimakonsens. Sind Sie offen dafür? Ich wünsche mir einen Konsens darüber, wie wir den Ausbau der Windenergie wieder anschieben können damit nicht jedes Bundesland weiter vor sich hin wurschtelt, sowie Bayern mit der 10 H-Regelung. Dafür müssen wir vom Bund verbindliche Planungshorizonte an die Hand bekommen. In der Gesellschafft gibt es den Konsens, dass wir mehr tun müssen beim Klimaschutz. Dafür reichen die Eckpunkte aber nicht aus. Ein nationaler Konsens kann nicht das kleinste gemeinsame Karo sein.
Bleiben wir bei der Windenergie. Bundeswirtschaftsminister hat kürzlich zu einem Windgipfel geladen. Reicht das, um den Ausbau wieder anzuschieben?
Der Bund hat mit dem Wechsel auf das Ausschreibesystem die Windenergie ausgebremst. In Thüringen etwa haben wir dieses Jahr bisher einen Zubau von Null. Ich hätte mir vom Windgipfel ein Signal gewünscht, dass die zehntausenden Arbeitsplätze in der Erneuerbaren-Branche wertgeschätzt und dass die Branche als Wirtschaftsfaktor anerkannt wird. Auch vermisse ich klare und verbindliche Regeln für Planung und Genehmigung. Es fehlt auch ein Bekenntnis zu einer Akzeptanz-Offensive. In Thüringen haben wir etwa ein Siegel für faire Windkraft entwickelt. Wer das haben möchte, verpflichtet sich, 25 Prozent des Ertrages an die jeweilige Kommunen zu geben. Das wäre ein Ansatz auch für andere Bundesländer. Hier in Thüringen fährt die CDU dagegen eine Kampagne gegen die Windkraft, dabei sind die allermeisten Windräder im Land unter Unions-Regierung entstanden. Das ist schon ziemlich populistisch.
Zu Beginn Ihrer Amtszeit gab es 750 Windräder im Land, seitdem sind nur 100 hinzugekommen. Liegt das nur am Bund? Wir haben im Dezember 2018 beschlossen, die Flächen für die Windenergienutzung von 0,3 auf 1 Prozent der Landesfläche zu erhöhen. Die regionalen Planungsgemeinschaften lassen sich aber durchaus Zeit mit der Fortschreibung der Regionalpläne. Wir haben aber durch Repowering etwas gut gemacht. Mittlerweile kommt ein Drittel des Stromes im Land aus Erneuerbaren.
Bei gleichbleibendem Ausbautempo werden Sie das 100 Prozentziel für 2040 aber nicht erreichen… Stimmt. Wir brauchen Rückenwind vom Bund für die Erneuerbaren. Das Klimapaket reicht dafür nicht.
Kommen wir zum Netzausbau. Bundeswirtschaftsminister Altmaier will hier mit dem Nabeg 2.0 und den Netzausbaureisen für mehr Schwung sorgen. Ist das gelungen?
Der Netzausbau ist notwendig, keine Frage. Aber wir in Thüringen haben schon einiges geleistet. Wir liegen geografisch so günstig, dass hier alle durchwollen. Aber wir müssen die Leute mitnehmen. Eine meiner ersten Amtshandlungen war, den Lückenschluss der Thüringer Strombrücke nach Bayern auf den Weg zu bringen. Dann mussten wir feststellen, dass wir vierphasig gebaut haben, Bayern aber nur zweiphasig abnimmt. Solche Dinge sorgen nicht für Begeisterung. Gut ist, dass die P44-Trasse vom Tisch ist und nicht noch eine Trasse durch das Land geht.
Was bedeutet das für kommende Leitungsprojekte? Offen ist jetzt noch der Südlink. Vor dem nächsten Großprojekt brauchen wir aber eine klare Zielkorridordebatte. Die Menschen müssen wissen was kommt. Die Salamitaktik des Bundes ist nicht in Ordnung. Bei Südlink wird es weiter Widerstand geben, solange bis klar ist, ob er wirklich gebraucht wird.
Ausgebaut werden müssen im Zuge der Energiewende auch die Verteilnetze. Sind die Rahmenbedingungen dazu aus Ihrer Sicht gegeben? Die Verteilnetze sind in der Tat die Ader, die alles verbindet. Die Frage ist, brauchen wir mehr Kupfer oder mehr Köpfchen, also intelligente Steuerungen. Ich denke wir brauchen beides, wenn ich an den Zuwachs der dezentralen Erzeugung, an Elektroautos oder Speicher denke. Jeder Straßenzug muss fit gemacht werden für die Energiewende. Sinnvoll ist dafür auch eine Kooperation der Verteilnetzbetreiber, wie wir das hier im Land mit den Thüringer Energienetzen haben.
Hilft dabei auch die Landesregulierungsbehörde, die es seit Anfang 2019 in Thüringen gibt? Die war der Wunsch der Unternehmen im Land, die damit auf uns zugekommen sind. Das war kein Projekt aus dem Koalitionsvertrag. Jetzt sind die Entscheidungswege kürzer und wir haben Know-how aufgebaut. Es ist eine autarke Behörde, die nicht Teil des Umweltministeriums ist.
Anderes Thema: Vor kurzem haben Sie eine Wasserstoffstrategie vorgelegt. Was ist das Ziel? Es gibt in Thüringen einige Unternehmen, die auf dem Gebiet aktiv sind. Die sagen uns, dass weltweit bei Wasserstoff viel passiert, nur bei uns nicht. Deswegen wollen wir zusammen mit der Thüringer Wissenschaft ein Innovationszentrum aufbauen. Wasserstoff ist ein Gewinnerthema. Die Akzeptanz ist hoch und gleichzeitig bietet die Produktion Perspektiven für Windparks, die aus dem EEG fallen. Das Ganze ist noch nicht wirtschaftlich. Das sagt uns etwa die TEAG, die verschiedene Projekte geprüft hat. Damit Wasserstoff fliegt, brauchen wir mehr Modellprojekte. Da muss der Bund was tun.
Wo sehen Sie denn Einsatzmöglichkeiten? Ein Beispiel ist die Mobilität. In Thüringen sind nur 30 Prozent des Schienennetzes elektrifiziert. Wasserstoffzüge sind daher eine Option. Wir wollen damit auf einer Strecke im Land nach dem Jahr 2022 starten.
Ist der Bau von Oberleitungen nicht günstiger? Nein, wenn ich mir allein die Kosten für eine Elektrifizierung der Mitte-Deutschland-Verbindung anschaue, dann müssen wir unterschiedliche Optionen betrachten. Wasserstoff ist eine davon. Ein Vorteil ist, dass wir den Wasserstoff mit Windparks im Land selbst erzeugen können.
Der Bund will bis Ende des Jahres eine Wasserstoffstrategie vorlegen. Was erwarten Sie davon? Der Bund muss Steuern und Umlagen so reformieren, dass ein Geschäftsmodell für Erzeugungsanlagen entsteht, die nicht mehr nach dem EEG gefördert werden. Wenn man einen Push für die Sektorkopplung will, muss man das ändern.

– Das Interview wurde am 23. Oktober 2019 auf www.energate-messenger.de veröffentlicht. –