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Nach der Wahl in Thüringen – Blick zurück und nach vorn und Post von Jonas

Wieder hat Thüringen überrascht. Unser Bundesland, in dem dieses mal fast 65% der wahlberechtigten Thüringerinnen und Thüringer zur Wahl gingen und damit so viele wie nie seit 1994, hatte schon 2014 etwas Aussergewöhnliches gewählt. Plötzlich diskutierte man über etwas Neues: ein progressives Dreierbündnis aus Linke, SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Das war ein Paukenschlag und das Bündnis hielt 5 Jahre. Das hat es noch nie gegeben. Dieses Mal ist es eine andere Situation. Keine, die Neues leicht möglich macht, sondern gegen den rechten Rand neu denken muss, damit überhaupt stabil regiert werden kann. 76,6% der Menschen machten für demokratische Parteien gegen die Höcke-AfD mobil, wählten Die Linke, CDU, SPD, FDP und uns und das in einem der unversöhnlichsten und härtesten Wahlkämpfe, die ich je erlebt habe. 

Im Vergleich zur letzten Landtagswahl 2014 haben wir als Bündnis 90/Die Grünen prozentual verloren, und die 5,2 % sind bitter. Absolut haben wir über 4.000 Stimmen dazu gewonnen, davon allein 1700 in Jena, aber auch in Erfurt, Weimar, im Eichsfeld und im Altenburger Land. Soll heißen: Grüne haben nicht pauschal auf dem Land verloren, sondern v.a. in stark schrumpfenden und peripheren Regionen. Und: Bei den Erststimmen haben wir  zwar um 15.000 Stimmen zugelegt. Ich freue mich über das beste Erst- und Zweitstimmenergebnis für Jena in Thüringen in diesem Wahlkampf. ABER: Alle Erststimmen hätten wir mit einer klareren Zweitstimmenkampagne verwandeln können, aus heutiger Sicht verwandeln müssen. Es wird zu diskutieren sein, warum die Menschen eher Personen ihre Stimme geben, als unserer Partei.

So unversöhnlich und rau im Ton der Wahlkampf war – nie haben sich mehr Bündnisgrüne landauf landab in einem Landtagswahlkapmf engagiert, sind mit klopfendem Herzen zu Podiumsdiskussionen gegangen, haben statt mit den Kindern Eis essen zu gehen, Plakate gehängt oder ihre Familie und Freunde zum Flyern durch die Straßen mitgenommen. Nie haben so viele für Kaffeetafeln mit Bundespromis Kuchen gebacken und sind mit ihren Freunden zu Townhalls gegangen. Und die Unterstützung von Parteifreund*innen aus allen Bundesländern, sogar jenen, die gerade gewählt hatten (Brandenburg und Sachsen), war einfach nur Spitze. Und nie hat meine Familie ganz persönlich so viel beigegeben. Riesendank!

Auch deshalb schmerzt unser Ergebnis. Wir nehmen es in Demut entgegen und müssen in den nächsten Tagen und Wochen in eine tiefe Fehleranalyse gehen. Und das ist auch nötig, denn aus der Koalition heraus sind wir nicht so durchgedrungen mit unseren zentralen Themen Klimaschutz und Demokratie, wie strategisch angelegt. Wir haben durch die Dynamik des horse race zwischen Bodo Ramelow und Mike Mohring zum Ende hin an Zuspruch verloren. 9000 Stimmen haben wir an den Koalitionspartner, der den aktuellen Ministerpräsidenten stellt, verloren, die SPD sogar 20000. Vor diesem Hintergrund ist die Frage, wie wir in einem künftigen Bündnis unser Profil weiter schärfen und Kompetenzen ausbauen können, eine der zentralsten. Plus: Auch insgesamt hat es #r2g hat nicht geschafft, sein Wähler*innenlager auf deutlich mehr als 50% zu erweitern – daran müssen alle drei Partner arbeiten. 

Und wir haben in moderat und stark schrumpfenden Regionen – sowohl in ländlichen Raum als auch in den Städten – zu wenige Wählerinnen und Wähler mit unserer Regierungsarbeit, unseren Themen und Positionen überzeugen können. Für mich ist das auch deshalb bitter, weil wir in meinem Zuständigkeitsbereich als Energie- und Umweltministerin viele Kernprojekte im ländlichen Raum verwirklicht haben: Vom Grünen Band über die NATURA 2000-Stationen, dem Moderationsprozess für eine Biosphärenregion Südharz/ Kyffhäuser /Hohe Schrecke, der Ausweisung der Wald-Wildnisflächen im Kyffhäuserkreis oder der Beräumung großer Altlasten in Rositz oder Eisenach, das Anschließen von Brunnendörfern an Trinkwasser in Ostthüringen oder den Ausbau von Ladesäulen. Wir haben ein Klimagesetz verabschiedet, mit dem Wassergesetz sauberes Wasser als Ressource gesichert und es nicht vermocht mit unseren Kernthemen in die Breite der Gesellschaft, v.a. in den strukturschwächeren Regionen vorzudringen. Gleichsam ist es nicht gelungen, beim Thema „Migration“ irgend welche Kompetenzgewinne auszumachen.

Tatsache ist, dass die antidemokratische AfD enorm zugelegt und damit die Mehrheitsverhältnisse verschoben hat, obwohl sie in keinem der zur Wahl wichtigen Zukunftsfelder auch nur eine Antwort gab. Während ein Teil der Wähler*innen sie offenbar nach wie vor als Protestplattform ansieht, unterstützt ein anderer Teil ihrer Wähler/innen hier mittlerweile auch bewusst ein faschistisches Weltbild. Laut Forschungsgruppe Wahlen votierten 29 % der Wahler*innen für die AfD als „Denkzettel für andere Parteien“ und 69% „wegen ihrer politischen Forderungen“ (weitere Infos hierzu). Das ist nicht nur in Thüringen so, sondern zeigt sich grundsätzlich auch in anderen Bundesländern. Gerade nach dem Anschlag von Halle ist das beunruhigend. Und weil aus Gedanken Sprache wird und aus Sprache Taten, mussten wir in diese politische Auseinandersetzung offensiv gehen. Zu diskutieren ist, ob wir damit Die Linke mehr gestützt haben, als nötig.

Auch ist es insbesondere der CDU gelungen, negative Frames gegen uns Bündnisgrüne aufzubauen. Am Ende hat Mike Mohring nicht davon profitiert, Großflächen mit „Stoppt den Windkraftwahnsinn“ aufzustellen. Das Narrativ einer für die ThüringerInnen „belastenden Energiewende“ basierte zwar auf fake news, verfing aber. Das hat auf das Konto der AfD eingezahlt. Selbstkritisch müssen wir sagen, dass die knapp 70 neuen Windräder in Thüringen in meiner Regierungszeit auch angesichts der Dramatik der Klimakrise eigentlich die Erzählung gar nicht her gegeben hätten. Den Tenor der „Angst“, wie ihn die CDU gesetzt hat, konnten wir mit Sachargumenten für dezentrale und saubere Energie, Beteiligung der Bürger*innen mit unserem fairen Windsiegel und tausenden Jobs in dem Bereich, nicht auffangen. Auch meldeten sich „natürliche Verbündete“ wie Umweltverbände hierzu nicht zu Wort, was die Situation Aussage-gegen-Aussage verfestigte. Was bleibt ist eine CDU, die ihrer Bundespolitik in diesem wichtigen Thema diametral gegenüber steht und gesellschaftspolitisch eine verhärtete Situation, die wir gemeinsam mit Bündnispartnern auffangen und dialogisch versuchen müssen aufzulösen.

Wahlentscheidend waren letztlich gesellschaftliche Zukunftssorgen wie auch ostgeprägte Gefühlslagen 30 Jahre nach der Friedlichen Revolution, sowie die Themen soziale Gerechtigkeit und Bildung. Hier haben wir bislang kaum Kompetenzen aufbauen können. Jenseits von Umwelt/Klima ist die Kompetenzzuschreibung für uns Bündnisgrüne bei Bildung / Gerechtigkeit oder Wirtschaft verheerend. Daran muss die künftige Landtagsfraktion arbeiten und einen starken Fokus auf eines dieser Themen legen. Und: Wir müssen aus der Stärke der Mandatsträger*Innen für uns in Kommunalparlamenten etwas machen. Hier ist so viel know-how, das ein wachsender Landesverband mit einer zugegeben kleinen aber schlagkräftigen Landtagsfraktion ausbauen kann.

Das Wahlergebnis gibt uns zu denken. Es gibt in Thüringen keine parlamentarischen Mehrheiten entlang bekannter Muster. Der menschenverachtenden AfD fehlt es an Loyalität zur parlamentarischen Demokratie. Gerade aber die Demokratie- und Freiheitsrechte sind das wichtigste Gut, das wir uns vor 30 Jahren mit der Friedlichen Revolution in Ostdeutschland selbst erstritten haben. Wir Demokrat*Innen müssen zunächst gegen die Antidemokraten zusammenstehen, untereinander gesprächsfähig sein und Regierungsverantwortung übernehmen. Das ist der Auftrag der Wählerinnen und Wähler, die klar eine AfD-Regierungsbeteiligung ablehnen. 

Was jetzt ansteht, ist kompliziert. Wir werden auf Einladung der Linken in Gespräche über eine Minderheitsregierung gehen. Unsere Verfassung gibt uns Zeit und Raum zum Austausch, aber wir präferieren stabile Verhältnisse. Die pauschale Absage der FDP zu Gesprächen in eine stabile Regierung mit #r2g zu gehen, bevor Gespräche geführt wurden, halte ich für irritierend. Es ist jetzt unsere staatspolitische Verantwortung, alle Wege zu prüfen, auch wenn sie fern denkbarer Horizonte liegen. Im übrigen gilt das Gleiche für die CDU.

Wir als Grüne werden die Wahl gründlich analysieren. Wir werden weder in einer Regierung noch in der Opposition in den Kernthemen Klima- und Umweltschutz von unseren klaren, den realen Erfordernissen angemessenen Positionen abrücken. Im Gegenteil. Gerade der Klimaschutz ist eine lokale wie globale Herausforderung. Und dass der Klimaschutz auch in Thüringen die Breite der Gesellschaft erfasst, dafür stehe ich ein. Es gilt, die Verknüpfung von Klimaschutz und sozialer Frage deutlicher zu machen. Wir müssen die Chance und die Möglichkeiten haben, das Thema Klimaschutz als Grüne noch besser in Konzepte und Projekte für den ländlichen Raum (Agrarwende, Verkehrswende) umzusetzen. Und wir müssen uns inhaltlich in der Regierung verbreitern und neue Zielgruppen in den Fokus nehmen. 

Was mir Hoffnung macht: In der Altersgruppe von 18-24 Jahren haben wir ordentlich zugelegt, noch am Wahlsonntag hatten wir viele Eintritte und mich erreichen viele Emails und Nachrichten, die uns bestärken, darunter auch diese hier von Jonas: 

„…ich wohne in Mosbach (Wutha-Farnroda), einem kleinen Dorf im Westen unseres Bundeslandes. Ich haben den Wahlkampf der Grünen für die Landtagswahl aufmerksam verfolgt und ich stehe voll und ganz hinter ihren Ideen und Plänen für ein lebenswertes, umweltfreundliches und demokratisches Thüringen. Leider konnten die Grünen bei dieser Wahl nicht die Prozentzahlen erreichen, wie man es sich vielleicht erhofft hatte aber ich bitte sie darum, dass sie dennoch weiter so stark und zielstrebig für Umweltschutz und vor allem auch gegen die rechten Parteien wie z.b. die AfD mit ganzer Kraft kämpfen. Ich habe nach dieser Wahl mehr Angst als je zuvor, vor einer rechtsradikalen Wende. (…) Bitte führen sie ihre zielstrebige und grüne Demokratie weiterhin kämpferisch fort, denn in diesen Zeiten in denen von rechtsextremen Parteien immer mehr Druck kommt, müssen wir an unserer wertvollen Demokratie festhalten und alles dafür geben, um sie zu verteidigen. (…)“

Jonas, das machen wir!