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Interview: „Wir brauchen schnell ein Entlastungspaket“

Südthüringer Zeitung, 17.03.2022

Frau Siegesmund, die Marktpreise für Öl und Gas sind inzwischen wieder deutlich gesunken, aber an den Tanksäulen und Ölheizungen merken die Menschen nichts davon. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Siegesmund: Hohe Spritpreise und deutlich höhere Heiz- und Lebenshaltungskosten belasten alle Menschen enorm. Was wir gerade als fossile Inflation an den Tankstellen sehen, zeigt, dass die großen Ölkonzerne in dieser Zeit des Krieges Putins gegen die Ukraine und der Angst vor Lieferengpässen am Markt viel Geld verdienen. Umso wichtiger, dass Wirtschaftsminister Habeck kartellrechtlich aktiv werden will.

 

Seit Tagen liegen verschiedenste Vorschläge auf dem Tisch, um Verbraucher in dieser Situation zu entlasten. Welche davon halten Sie für am zielführendsten?

Siegesmund: Wir brauchen schnell ein wirklich gutes Entlastungspaket des Bundes, das nachhaltig, sozial und ökologisch sein muss. Und zielgenau diejenigen erreicht, die zuerst Hilfe brauchen. Ich denke da zum Beispiel an Entlastungen von Familien. Denn es sind ja nicht nur die Spritpreise enorm gestiegen, vor allem auch die Heizkosten sind explodiert. Der Börsenpreis für Erdgas ist in kurzer Zeit um bis zu 600 Prozent gestiegen. Und eine vierköpfige Familie mit zwei Kindern muss eben mehr heizen als ein Singlehaushalt. Gerade sie stehen also vor riesigen Heizkostenrechnungen. Da braucht es dringend Entlastungen und Zuschüsse. Insofern finde ich es auch richtig, dass die Höhe des Heizkostenzuschusses nochmal angehoben wurde. Ich werbe zudem nachdrücklich für ein Energiegeld, das schnell auf den Weg gebracht werden muss.

 

Gibt es da für Sie eine finanzielle Grenze – also eine Einkommenshöhe, ab der Sie denken, dass Menschen die hohen Energiekosten auch ohne staatliche Zuschüsse stemmen sollten? Oder wollen Sie alle pauschal entlasten?

Siegesmund: Nach den Bedürfnissen gestaffelt.  Aber das plant der Bund ja auch: Ein Energiegeld für alle,  einen Kindersofortzuschlag, einen deutlich höheren Heizkostenzuschuss für Wohngeldempfänger. Von der geplanten Absenkung der EEG-Umlage zum 1. Juli profitieren alle Verbraucher unabhängig vom Einkommen, denn dadurch kann Strom um 3,7 Cent/kWh billiger werden. Gleichzeitig ist mir aber wichtig, dass wir nicht nur in Zuschüsse investieren, sondern auch in Energieeffizienz, also in die gute Sanierung von bestehenden Wohngebäuden, sodass die Heizkosten insgesamt langfristig sinken. Die Energie, die wir nicht verbrauchen, müssen wir nicht bezahlen.

 

Ihr Parteifreund Robert Habeck hat in seiner Funktion als Bundeswirtschaftsminister angeregt, über eine Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken und Kohlekraftwerken nachzudenken, um sich kurzfristig unabhängiger von russischer Energie zu machen. Was halten Sie von diesem Vorstoß?

Siegesmund: Es ist richtig, dass die Vorschläge auf den Tisch müssen, die uns mit Blick auf den nächsten Winter helfen, deutlich unabhängiger von Russland zu werden. Der Bund bereitet ein Gasspeichergesetz vor, das Mindestfüllmengen für die Gasspeicher in Deutschland vorsieht, um mit Blick auf die nächste Heizperiode Vorsorge zu treffen.  Es ist eine Phantomdebatte, die da jüngst um wieder mehr Atomstrom geführt wurde. Als ob wir kurzfristig mehr Atomstrom erzeugen könnten. Dazu müssten nämlich erstens neue Brennstäbe für die Kraftwerke organisiert werden – das geht aber nicht für dieses Jahr. Zweitens müsste es für Atomkraftwerke, die man länger laufen lassen will, eine neue, aber abgespeckte Sicherheitsüberprüfung geben. Und das kann ja nun wirklich niemand wollen, der mitbekommen hat, wie kritisch die Lage in den vergangenen Wochen erst wieder in den ukrainischen Atomkraftwerken war. Deshalb kann ich sehr gut verstehen, dass sich der Bundeswirtschaftsminister am Ende gegen irgendwelche Atom-Optionen entschieden hat, die gar nicht helfen.

 

Und bei der Kohle?

Siegesmund: Das ist eine andere Scheindebatte, weil wir hier langfristiger planen können. Die Kohlekraftwerke, die es in Deutschland gibt, haben Laufzeiten bis mindestens 2030. Wir müssen uns deshalb am meisten damit beschäftigen, wie wir uns jeden Monat unabhängiger von russischem Gas , Öl und Steinkohle machen.

 

Genau. Und müssen wir da nicht einsehen, dass wir da – gerade in Thüringen – eigentlich gar keine wirklichen Möglichkeiten haben? Außer weniger Heizen und weniger Autofahren, was realistisch betrachtet für viele Menschen eben auch keine Optionen sind?

Siegesmund: Wir können vieles tun, hier und heute. Natürlich helfen wir bei der Energieeffizienz, damit möglichst wenig Energie verbraucht wird. Das tun wir mit unserem Programm Green Invest seit Jahren für die Wirtschaft. Und wir werden konsequent die erneuerbaren Energien ausbauen. Mehr Energie aus Sonne, Wind, Biomasse. Mehr Wärmepumpen und Solarthermie. Anders geht es nicht. Das gibt Sicherheit, das gibt Preisstabilität und das ist auch noch gut fürs Klima.

 

Das Problem ist: Nach allen Erfahrungen, die wir in den vergangenen Jahren gesammelt haben, dass der Ausbau der erneuerbaren Energie niemals kurzfristig zu machen ist.

Siegesmund: Deshalb müssen wir zum Beispiel bei der Windenergie sehr viel schneller bei Genehmigungsverfahren werden. Ähnlich ist es beim Sonnenstrom. Wir brauchen den Turbo bei der Photovoltaik. Und da werden wir als Land nun etwas tun, was wir bisher nicht getan haben: Wir werden die Länderöffnungsklausel für PV-Solarparks auf benachteiligten Flächen nutzen. Dazu werden wir jetzt mit den Landwirten das Gespräch suchen, um zu klären, wie viel Hektar solcher Flächen wir für Solarparke bereitstellen können.

 

Das heißt also, dass sie bestimmte Agrarflächen für die Stromerzeugung öffnen wollen?

Siegesmund: Ja, die Flächen, die wenig oder kaum landwirtschaftlichen Ertrag haben, wären hier besonders geeignet.

 

Dennoch bleibt das doch Augenwischerei: Weder kürzere Genehmigungsverfahren für Windräder noch das Nutzen einer Länderöffnungsklausel wird dazu führen, dass bis zur nächsten Heizperiode im Winter auch nur ein zusätzliches Windrad in Thüringen Strom erzeugt oder eine zusätzliche Photovoltaikanlage gebaut wird. Es ist völlig unmöglich, innerhalb von sechs Monaten ein noch nicht bestelltes Windrad oder eine noch nicht bestellte Solaranlage in Betrieb zu nehmen.

Siegesmund: Was aber nicht heißt, dass wir nicht auch dort den Turbo zünden sollten. Und wir brauchen in den nächsten Monaten einen neuen Umgang mit Energie. Jede Kilowattstunde, die wir heute sparen, hilft uns für die kommende Heizperiode.  Ich bestreite gar nicht, dass wir vor einer riesigen Herausforderung stehen, die uns in den nächsten Monaten und Jahren massiv fordern wird. Es geht um Energieeffizienz und Ausbau der Erneuerbaren, wo immer möglich. Um das zu bewältigen, um auch die Kommunen gut zu beraten, brauchen wir im Umweltministerium übrigens auch mehr Stellen. Mit dem Personal, das wir jetzt haben, können wir die Kommunen einfach nicht angemessen befähigen, bei der Energiewende vor Ort  ganz schnell voranzukommen. Das wird eine meiner wichtigen Forderungen mit Blick auf den Landeshaushalt 2023 sein. Wir brauchen mehr Leute, die den Kommunen helfen, neue Richtlinien und Fördermittel des Landes und des Bundes schnell und effektiv zu nutzen. Wir müssen da alle Bremsen lösen.

 

Sie sagen es selbst: Der Bund macht das. Müssen wir uns in Thüringen wie in anderen Ländern auch eingestehen, dass wir Putin beim Thema Energie völlig ausgeliefert sind?

Siegesmund: Das ist mir zu pauschal. Wir sind Teil des bundesweiten Energienetzes und tragen unseren Teil für mehr Energie-Unabhängigkeit bei. Was wir selber in der Hand haben, werden wir tun: Wir müssen  bei den Genehmigungsverfahren schneller werden. Mehr Menschen müssen sich für Photovoltaik-Anlagen entscheiden wollen. Derzeit haben wir 38.000 davon in Thüringen, ich möchte, dass es 100.000 bis zum Jahr 2025 werden. Wir brauchen  eine gesellschaftliche Debatte – und dann eine Entscheidung – darüber, wie viel wir bereit sind zu investieren in unsere Unabhängigkeit von Putin. Denn klar ist, diese Unabhängigkeit wird uns nicht in den Schoß fallen. Für den Aufbruch in ein neues Zeitalter werden sich viele bewegen müssen. Aber nur so kann es etwas werden mit einer nachhaltigen Energieproduktion und Nutzung.

 

Interview: Sebastian Haak