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Ein Stufenplan eröffnet Perspektiven

Seit einem knappen Jahr bewältigen wir gemeinsam die Corona-Krise. Eine Krise, die gefühlt zu einem Dauerzustand geworden ist und alle Lebensbereiche massiv betrifft. Das Virus hat weltweit verheerende gesundheitliche, soziale und ökonomische Folgen. Millionen Menschen haben ihr Leben verloren und die Gesundheitssysteme fahren am Limit. Auch bei uns.

Eltern werden gleichzeitig zerrieben zwischen Homeoffice, Homework und Homeschooling. Dazu kommen ökonomische Folgen, für Kulturschaffende bis zum Metallbau-Unternehmer. Die Geduld der Thüringerinnen und Thüringer wird an vielen Stellen überstrapaziert.

Eine Krise kann aber kein Dauerzustand bleiben. Es reicht deshalb längst nicht mehr, um das Einhalten der AHA-Regeln zu bitten und die Corona-Warn-App herunter zu laden. Was es braucht, um die Akzeptanz der Menschen für die Maßnahmen zu erhalten, ist ein Stufenplan, der den Menschen Orientierung und Perspektiven eröffnet und damit auch Planbarkeit ermöglicht. Diesen Plan legen wir heute als Diskussionsbeitrag für die morgige MPK vor.

Anders als bei einer Naturkatastrophe wie einem Hochwasser, bei dem wir klar nach HW-Gefahrenstufen unterscheiden und präventiv mit technischen Massnahmen vorbauen und Wasserwehren einrichten, kennt eine Pandemie keinen „Scheitelpunkt der Wassermassen“. Wir wissen nicht, wann der „peak“ erreicht ist. Eine Pandemie ist auch keine einmalige Naturkatastrophe. Vielmehr ist die Gefahr auch durch die Mutation vielschichtiger und deutlich komplexer.

Gerade jetzt, im 2. Lockdown seit März 2020, hängt das Vertrauen der Menschen in der Bundesrepublik am staatlichen Krisenmanagement umso mehr von den getroffenen Maßnahmen ab, die wir wissenschaftsbasiert, praxisnah und transparent beschließen und verständlich übermitteln müssen. Das war und ist mir als Grüne vom ersten Tag an wichtig. Das ist unser Kompass.

Es ist unser Auftrag, dass die Menschen von Altenburg bis Eisenach und Nordhausen bis Suhl wissen, was gilt. Und dennoch: Das ist leichter gesagt, als getan. Ad hoc haben wir als Landesregierung immer wieder nachgesteuert. Zuletzt bei einem Punkt, der eine zu große Belastung für Familien war: So können sich Eltern jetzt in die Kinderbetreuung rein teilen mit einer festen Tandem-Familie. Denn Kinder brauchen andere Kinder und Eltern andere Eltern zur Unterstützung.

Wir beenden jetzt den Ad-hoc Modus. Mit dem Stufenplan verabreden wir gemeinsame und planbare Schritte. Der Stufenplan, den wir als Thüringer Landesregierung heute vorstellen, ist in enger Zusammenarbeit mit dem wissenschaftlichen Beirat erarbeitet, er ist praxisnah und transparent angelegt und wird sicher auch in dem von uns einzurichtendem Bürgerforum diskutiert werden. Vor allem aber enthält er einen entscheidenden neuen Blick auf das Pandemiegeschehen insgesamt.

Er beschreibt nicht vordergründig Wege aus der Pandemie. Mit den 5 Stufen beschreiben wir das Leben mit der Pandemie.

Wir legen fest, welche Regeln in Kindergärten und Schulen bei Stufe 1 (unter 25 auf 100.000) anzuwenden sind und welche in Stufe 5. So ist, um bei diesem Beispiel zu bleiben, bei einem Wert in Stufe 1 (niedrigstes Infektionsgeschehen) der Regelbetrieb mit primärem Infektionsschutz (MNB für Personal und Eltern) möglich. Ab Stufe 4 ist die Einrichtung zu schließen und Notbetreuung anzubieten. Dieses Beispiel zeigt: Wir schaffen einen verlässlichen Aktionsradius für die Frage: Wie verhalten wir uns kurz-, mittel- und langfristig in welchem Szenario?

In den letzten Wochen haben wir im Kabinett immer wieder darüber diskutiert. Ich bin ausdrücklich der Landtagsfraktion von Bündnis 90/ Die Grünen Thüringen dankbar für ihren kürzlich vorgestellten Stufenplan. Viele Punkte daraus sind in den Stufenplan der Landesregierung eingeflossen. Wir orientieren uns nicht nur am Inzidenzwert, sondern wollen alle relevanten Faktoren mit einbeziehen: u.a. wie entwickelt sich die Mutation, wie hoch ist die Impfquote und wie viele Intensivbetten sind belegt? Wir beziehen alle Lebensbereiche mit ein. Für alle soll klar sein, wann wir was öffnen und welche Kontakte möglich sind. Dabei benennen wir klare Prioritäten und beginnen bei den Kleinsten unserer Gesellschaft.

Wir müssen vor allem die Kinder im Blick haben, wo zu Hause ein guter Ausgleich zum Schulausfall nicht möglich ist und wo die technischen Voraussetzungen fehlen. Jetzt entstehen Lernrückstände, die schwer wieder auf zu holen sind. Studien zeigen, dass jedes 5. aller Kinder und Jugendlichen in Deutschland unter Bildungsbenachteiligung leidet. Diese Kinder haben auch im Homeschooling nur schwer oder gar keinen Zugang zu Bildung. Abhängig vom Pandemiegeschehen können Schülerinnen und Schüler mit unserem Plan zumindest im Wechselmodell unterrichtet werden – oder sogar im gesamten Klassenverband. Die Regelungen gelten abhängig vom regionalen Infektionsgeschehen.

Dabei dürfen wir aber die nicht vergessen, die diese Öffnungen überhaupt möglich machen. Die Lehrerin, die Kontakte einfach nicht vermeiden kann, wenn sie vor ihrer Klasse steht. Oder die Erzieherin, die ein hingefallenes Kind in den Arm nimmt, um es zu trösten, und beim Wickeln sowieso keinen Abstand halten kann. Eine Studie der Krankenkasse AOK belegt: Krankschreibungen wegen Covid-19 trafen von März bis Oktober 2020 vor allem Erzieherinnen und Erzieher. Richtig ist, Kindergärten und Grundschulen wollen wir schnellstmöglich öffnen und dazu gehört ein umfassender Schutz der Beschäftigten – verbunden mit einer Impfpriorität. Erzieherinnen und LehrerInnen müssen so schnell wie möglich die Chance bekommen, sich impfen zu lassen.

Beim Thema Impfen gibt es Licht und Schatten zugleich: Niemand hätte doch gedacht, dass wir innerhalb eines Jahres überhaupt 5 von der EU zugelassene Impfstoffe haben würden. Deshalb müssen wir uns alle klar machen, dass das eine Riesenleistung ist. Der Impfstart dagegen war holprig. Und niemand kann von einer Über-80-Jährigen Großmutter verlangen, ihren Termin online zu organisieren. Aber wir lernen dazu. Und wir können nur das verteilen, was an Impfstoff da ist. Aber: Genauso wichtig ist es, die Testkapazitäten hochzufahren. Die Pandemieabwehr steht und fällt mit den Testungen. Mehr testen heißt: Schneller wieder Begegnungen ermöglichen.

Wir brauchen mehr mobile Impfteams. Mehr Testungen. Und mehr Bereitschaft, sich testen und impfen zu lassen. Das ist unser Garant aus der Krise. Doch trotz Impfstoff müssen wir uns gedulden. Wirtschaftshilfen in Milliardenhöhe werden bundesweit fließen müssen. Digitale Formate werden die Regel, nicht die Ausnahme, sein. Große Kulturveranstaltungen wird es so schnell nicht geben.

Wir werden kreativ bleiben müssen. Mut macht, wie KünstlerInnen jetzt helfen, das Virus zu bekämpfen. Das Theater Rudolstadt macht es vor: Die Menschen, die sonst auf oder hinter der Bühne stehen, geben jetzt in der Klinik alles, damit die Menschen vor Ort sicher durch die Pandemie kommen. Wir alle sind kulturhungrig und können die nächste Vorstellung oder das nächste Konzert kaum erwarten. Aber mit unserem Programm ChancengeberInnen ermöglichen wir Kulturschaffenden dort zu helfen, wo sie von Kindergarten bis Pflegeheim jetzt dringend gebraucht werden.

Dazu gehört auch die Frage, wie unsere Innenstädte nach der Pandemie aussehen werden. Es sind doch gerade die kleinen Läden, die unsere Innenstädte lebendig machen. Von ihnen können wir aber nicht verlangen, diese Zeit aus eigener Kraft zu
überbrücken. Unternehmerinnen und Unternehmer können genauso wie Selbstständige nicht länger warten. Novemberhilfen heißen nicht Novemberhilfen, damit sie im Januar oder Februar gezahlt werden. Dort, wo Schließungen drohen, müssen zeitgleich Hilfen bereitgestellt werden.

Wenn wir Existenzen sichern und soziale Härten auffangen UND Kinder und Familien in den Blick nehmen – dann sorgt ein Stufenplan für Verlässlichkeit und Transparenz. Eine Perspektive auf dem Weg der nächsten Monate bis wir das Impfgeschehen so weit voran getrieben haben, dass alle geimpft sind, die das wollen.

Das Pandemiegeschehen macht nicht an Bundes- oder Ländergrenzen halt.

In der besten aller Welten würde bei der MinisterpräsidentInnen-Konferenz (MPK) morgen eine bundeseinheitliche Regelung für alle Länder erreicht werden.

Unser Stufenplan gibt dafür einen Rahmen. Das ist unser Ziel.

 

Weiterführende Links:

Der Stufenplan, den das Thüringer Kabinett am 10.2.2021 beschlossen hat: Thüringer Orientierungsrahmen – Weg aus der Pandemie

Der Stufenplan der Landtagsfraktion Bündnis 90/ Die Grünen Thüringen: Perspektiven nach dem Lockdown: Wie geht es weiter? – Ein Stufenplan für Thüringen