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„Energiewende selbst gestalten, das ist unser Motto“, Interview in der TLZ

Thüringens Umweltministerin Anja Siegesmund (Grüne) setzt auf Forschung und Verständnis für die Notwendigkeit energetischer Sanierungen

Von Fabian Klaus, Thüringische Landeszeitung vom 17.03.2020

Erfurt. Mit einem Strauß voller Projekte und Plänen, die für Jahre reichen würden, geht die Thüringer Umweltministerin Anja Siegesmund (Grüne) in die laufende Legislaturperiode. Die soll nach dem Willen von Linke und CDU und der zähneknirschenden Zustimmung von SPD und Grünen aber im April 2021 enden. Was geht in dem einen Jahr im Umweltbereich, bei der Energie und im Naturschutz und auch ein bisschen in der Landwirtschaft, die die Grünen gern für sich beansprucht hätten – aber sich nicht gegen die Linke durchsetzen konnten?

Anja Siegesmund über:

… die Landwirtschaft:

„Unsere Förster und Landwirte brauchen jetzt volle politische Unterstützung, ob es die Wertschätzung von Lebensmitteln, die Wasserversorgung von Feldern und Wäldern oder die Reform der Agrarfinanzierung in der EU geht. Das gilt auch – Stichwort Landgrabbing – wenn unsere Thüringer Landwirte bei freien Flächen zum Zuge kommen wollen, aber Aldi oder Südzucker schneller zum Zug kommen. Ich tausche mich dazu fast täglich im Land aus. Vor Ort gibt es die klugen Ansätze und die politisch zusammenzubinden, dieser Aufgabe sollte man sich mit vollem Einsatz widmen.“

… die von ihr eingeführte Schaf-Ziegen-Prämie

„Wir werden daran festhalten, zumal andere Bundesländer das nachmachen wollen. Unsere Schäfer hüten die wichtigsten Landschaftspfleger auf vier Beinen und sollen dafür weiterhin 25 Euro pro Muttertier bekommen. Das Antragsverfahren ist gut gelaufen.  Und ich bin sehr froh, dass die Zahl der Schafe in Thüringen wieder nach oben geht.“

Allerdings bleibt es unbefriedigend, dass es die Weidetierprämie auf Bundesebene nach wie vor nicht gibt. Wir werden mit voller Kraft versuchen, die Stimmen im Bundesrat für eine erneute Initiative zu sammeln. Die Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) muss sich an der Stelle jetzt endlich einmal bewegen. Schäfer müssen in der Landwirtschaftspolitik das Gehör bekommen, das sie verdienen und nicht immer nur als ‚Side-Story‘ behandelt werden.“

Bäume an Straßen:

„Wir brauchen jeden gesunden Baum in diesem Land, zumal in unseren schönen Wäldern nur noch knapp jeder 5. Baum gesund ist. Jeder gesunde Baum ist wichtig für das Klima und die Menschen. Das gilt auch für den Schutz von Alleen, für den wir uns auch gegenüber den Koalitionspartnern immer wieder besonders stark machen müssen.“

… den Urwald am Possen:

„Die Situation unseres Waldes in Thüringen ist dramatisch. Die hartgesottenen Förster sagen, dass keiner die Lage vor zwei Jahren so hat kommen sehen. Dass auf 1,80 Meter bei den Buchen bis heute die Bodenfeuchte nicht ausreicht, damit hat niemand gerechnet. Wir müssen alles für die Vitalität unserer Natur tun und dazu können auch Flächen beitragen, die in einem Wald nicht klassisch bewirtschaftet werden, weil hier kein schweres Erntefahrzeug lang fährt und die Böden kaputt versiegelt. Neben den 95 Prozent tun 5 Prozent Urwald viel Gutes für den Artenreichtum und sanften Tourismus.“

… das Bauen mit Holz:

„Das ist einer der Punkte, die wir verstärken müssen. Wir brauchen Forschung. Thüringen kann zum Beispiel durch ein Forschungszentrum Holz zeigen, dass es nicht nur ein waldreiches Land ist. Sondern auch ein Bundesland ist, in dem es innovative Ideen dazu gibt, wie künftig mit Holz nachhaltig umgegangen werden kann. Das fände ich eine großartige Idee.“

… die Forschung in Thüringen:

„Unser Land hat innovatives Potenzial. Ich möchte mich gerne dafür verwenden, dass das auch ausgeschöpft wird. Ich will, dass wir das Forschungszentrum nachhaltige Mobilität nach Thüringen holen, weil wir einen starken Automobil-Bereich haben. Über den Standort ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, auch wenn der Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) das denkt.

Thüringen muss aber auch Wasserstoff-Zentrum werden und die Forschung für Gips-Ersatzstoffe forcieren. Unser Gips-Karst in Nordhausen ist einfach zu schön, um ihn komplett abzubaggern. Da fallen uns in Thüringen doch klügere Sachen ein. Dann hätten wir in Thüringen vier innovative Bereiche, auf die wir uns fokussieren können.“

… E-Mobilität und die Vorreiterrolle des Energieministeriums:

„Wir bauen unseren Fuhrpark  um. Es gibt bei uns zum Beispiel E-Auto und E-Fahrrad und wir haben eine immer belegte E-Ladesäule vor dem Haus. Privat fahre ich elektrisch, im Dienst Hybrid. Übrigens haben wir in Thüringen die dichteste Ladesäuleninfrastruktur neben Baden-Württemberg, weil die Stadtwerke hier super mitgezogen haben. Wenn unsere regionalen Energieversorger jetzt noch häufiger Ökostrom beziehen und sich bei den erneuerbaren Energien stärker beteiligen würden, dann wäre ich total zufrieden.“

… Elektromobilität im Nahverkehr:

Im Bereich nachhaltige Mobilität tut sich einiges in Thüringen. Wir wollen dort, wo man im öffentlichen Bereich umstellen kann, das auch schaffen. Die Jenaer Nahverkehrsbetriebe haben zum Beispiel drei Elektrobusse angeschafft. Die wurden zu 80 Prozent aus dem Umweltministerium gefördert. Auch Nordhausen hat investiert in Elektrobusse. Insgesamt waren 14 Millionen Euro im Topf, die jetzt zunächst aufgebraucht sind, aber es wird neue Möglichkeiten geben. Ich hätte mir bei manchem Thüringer Nahverkehrsunternehmen ein bisschen mehr Aktivität gewünscht. Wir wollen 2021 wieder in einem ähnlichen Finanzvolumen im Bereich nachhaltige Mobilität fördern. Vorausgesetzt, wir bekommen das im Haushalt verankert.“

… Wasserstoffantrieb:

„Wir haben aktuell drei Probleme: Wasserstoff muss grün erzeugt sein, sonst ist er nicht sauber. Deshalb brauchen wir einen Energieüberschuss. Mir schwebt vor, dass Windräder, die aus der EEG-Förderung fallen, ihren überschüssigen Strom bereitstellen und man daraus Wasserstoff macht. Noch haben wir es da, insbesondere auch bei der Rückverstromung des Wasserstoffes, mit sehr niedrigen Effizienzgraden zu tun, weshalb weiter geforscht werden muss. Außerdem ist eine Ladeinfrastruktur, zum Beispiel für ein Wasserstoffauto, im Vergleich zum Elektroantrieb sehr teuer. Wenn die Bundesregierung will, dass wir Wasserstoffzentrum werden, ich möchte das gern, dann wollen wir das so vorantreiben, dass wir bei diesen Problemen binnen fünf Jahren deutlich vorangekommen sind. Das aber kostet Geld, das bereitgestellt werden muss.“

… energetische Sanierungen bei den Thüringer Wohnungsunternehmen

„Es geht darum, sozial gerechten Klimaschutz zu machen. Es ist richtig, wenn die Wohnungsgesellschaften deshalb darauf achten, einen guten Ausgleich zu schaffen. Gerade im Bereich Wärme gibt es die berechtigte Frage, wie sich die Sanierung auf die Miete auswirkt. Es darf keinesfalls passieren, dass zu Lasten der Mieterinnen und Mieter saniert wird. Im Gegenteil. Wenn die Wohnungsgesellschaften bei der Frage Photovoltaik und Solarthermie mutiger würden, ließe sich viel erreichen. Die Kapazitäten auf den Dächern haben wir und die Sonne stellt keine Rechnung. In Thüringen gibt es auf 25.000 Dächern entsprechende Anlagen, aber das Potenzial ist nach wie vor hoch. Wenn wir es jetzt schaffen, alle geeigneten Dächer auszustatten, dann müssen wir nicht mehr darüber debattieren, wie hoch die Energiekosten sind. Die Sonne stellt keine Rechnung. Energiewende selbst gestalten – das ist unser Motto.“