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Freies Wort Interview mit Anja Siegesmund, amtierende Thüringer Umweltministerin und Chefunterhändlerin der Grünen für die Gespräche zur Regierungsbildung

Frau Siegesmund, steht für die Grünen fest, dass sie die rot-rot-grüne Koalition fortsetzen – oder ist das offen?
Uns Bündnisgrünen ist klar: Ein einfaches Weiter-So wäre für uns ruinös. Deshalb müssen wir die Chance haben, uns künftig mehr in einer Koalition zu profilieren. Die Wahrscheinlichkeit, dass es eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung gibt, ist im Vergleich mit den anderen Möglichkeiten, die höchste. Aber falls wir nicht übereinkommen, werden Dirk Adams und ich als Verhandlungsführer unserer Partei nicht empfehlen, das Wagnis einer Minderheitsregierung einzugehen. Regieren um jeden Preis kommt für uns nicht in Frage.

Woran könnte eine Regierungsbeteiligung der Grünen scheitern?
Wir gehen nur in eine Minderheitsregierung, wenn wir die Chance haben, im ländlichen Bereich, bei Mobilität und sozialer Frage stärker als bisher wahrgenommen zu werden. Es kann nicht sein, dass die einen nur für die schönen Dinge zuständig sind, etwa das Küren der Kartoffelkönigin, und die anderen für die Verbote, etwa den düngemittelfreien Uferrand-Streifen.

Daher bestehen Sie darauf, die Zuständigkeit für die Landwirtschaft in das von Ihnen geführte Umweltministerium zurückzuholen?
Die CDU in Sachsen traut es den Grünen zu, die Verantwortung für Landwirtschaft, Forst und Umweltschutz zu übernehmen. Auch die SPD in Brandenburg traut das den Grünen zu. Dass es in Thüringen weiterhin so sein soll, dass die Umweltministerin nicht zuständig ist, wenn der Rotmilan in den Wald fliegt, kann ich mir nicht vorstellen. Energie, Umweltschutz, Landwirtschaft, Forst – das gehört doch inhaltlich zusammen!

Welche Inhalte wollen Sie bei den Verhandlungen mit Linke und SPD durchsetzen?
Es muss ein Agrarstruktur-Gesetz geben, um Ackerflächen vor dem Zugriff von Großkonzernen zu schützen. Wir wollen die Finanzierung der freien Schulen verbessern. In der Frage eines weiteren beitragsfreien Kita-Jahres sagen wir, dass es zuerst um mehr Qualität in den Kindergärten gehen muss. Ziel ist, auf der grünen Landesdelegiertenkonferenz Ende Januar Inhalte zu präsentieren, denen unsere Mitglieder gut zustimmen können. Wir Grüne sind nur über Inhalte zu kriegen, die dann aber in den verantwortlichen Ressorts umgesetzt werden müssen.

Welche Knackpunkte sehen Sie bei den Verhandlungen?
Ich glaube, es ist äußerst wichtig, für die innere Mechanik der Koalition zu sorgen. Wir brauchen viel mehr Dialog und Kommunikation, vielleicht nach Vorbild der Stadträte eine Art Hauptausschuss. Nur so wird es möglich sein, als „Kooperations-Regierung“, wie ich das nenne, auch CDU und FDP an Bord zu holen. Ohne die bekommt Rot-Rot-Grün keine Mehrheiten zustande. Beton anrühren, hilft nicht. Denn ganz rechts lauert die AfD. Und die CDU muss die Tür nach rechts unbedingt geschlossen halten.

Die SPD will, dass jeder der drei Koalitionspartner eigene Anträge im Landtag einbringen kann. Was halten Sie davon?
Es ist verfrüht, darüber zu reden. Diese Frage muss jetzt Bestandteil der Verhandlungen sein. Wir sind da skeptisch.

Wie haben Sie die Aussage von Bodo Ramelow empfunden, dass die Linke notfalls allein eine Minderheitsregierung bildet?
Ich verstehe seine Ungeduld, weil das Wählervotum eindeutig war, dass er weiter Ministerpräsident sein soll. Aber wenn er eine Koalition möchte mit Partnern, die gestalten wollen, dann muss er die nötige Geduld aufbringen. Erst die Inhalte, dann die Personen.

Die Linke will am 7. Februar den Ministerpräsidenten im Landtag neu wählen. Ist der Zeitplan aus Ihrer Sicht zu halten?
Nur dann, wenn wir bis dahin bei Rot-Rot-Grün gemeinsame Ziele verabredet haben. Dazu gehört auch, dass CDU und FDP zumindest grundsätzlich ihren Willen zur Zusammenarbeit erklärt haben, bei Energiewende, Bürokratie-Abbau oder mehr Lehrern. Wir können nicht mit der Brechstange etwas zusammenzimmern, was fünf Jahre halten soll.

Ist eine Simbabwe-Minderheitsregierung eine Alternative für die Grünen?
Ich gebe einer Minderheitsregierung aus CDU, SPD, Grünen und FDP keine große Chance. Sie hätte noch weniger Stimmen als Rot-Rot-Grün. Außerdem wäre es nicht das progressive Bündnis, das wir fortsetzen wollen.

Warum hat Rot-Rot-Grün vorige Woche einen Vorstoß von CDU und FDP zu den Kommunalfinanzen abgebügelt? Das hätte ein erster Test für die Zusammenarbeit sein können.
Zunächst mal: CDU und FDP haben uns für unsere Haushaltspolitik immer wieder kritisiert. Der Vorgang zeigt aber auch, dass wir jetzt eine Gesprächsform brauchen, damit solche Dinge nicht gleich „abgebügelt“ werden, wie Sie das nennen. Was nicht funktioniert, ist Politik nach dem Motto: Wer bietet mehr und wer bietet es als erster.

Wird der Landeshaushalt 2021 zum Knackpunkt für die Regierungsfähigkeit einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung?
Es gibt zwei Klippen: Zuerst die Wahl des Ministerpräsidenten. Und dann die Verabschiedung des nächsten Haushaltes, der ein Doppelhaushalt für 2021 und 2022 sein soll, um Planungssicherheit zu gewährleisten. Da wird sich zeigen, wie tragfähig die Thüringer Lösung ist.

– Das Interview wurde am 11. Dezember 2019 im Freien Wort veröffentlicht. –