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Offener Brief an die Funke Mediengruppe

Sehr geehrter Herr Saffe,

die Funke Mediengruppe will zunehmend auf Digitalisierung setzen. So heißt es in Ihrer Mitteilung vom 7. Februar 2019: „Für die Thüringer Titel werden Szenarien erarbeitet, wie eine Versorgung der Leserinnen und Leser in ländlichen Gebieten mit digitalen Angeboten gewährleistet werden kann.“ Das hat nicht nur auf Twitter zu zahlreichen Reaktionen geführt. Als Thüringerin, als Bürgerin und Ministerin erfüllt mich diese Entwicklung mit Sorge.

Wir alle, gerade jedoch ältere Leserinnen und Leser, brauchen einen nied-rigschwelligen Zugang zu vielfältigen, tagesaktuellen und qualitativ hochwertig aufbereiteten Informationen. Das gehört unabdingbar zu den Grundlagen der Informationsbeschaffung und daraus folgenden politischen Willensbildung dazu, ohne die eine Demokratie nicht funktionieren kann. Wir haben vor zwei Tagen 100 Jahre Weimarer Reichsverfassung gefeiert. An jenem Tag machte die Thüringer Allgemeine auf mit dem Titel: „Glückwunsch, Demokratie!“. Sehr gelungen, wie ich finde, insbesondere mit dem Foto der Nationalversammlung. Am Ausgang des Deutschen Nationaltheaters wurde nach den Feierlichkeiten die Zeitung vom 6. Februar 1919 verteilt, die auch die „Freiheit von Schrift und Wort“, wie sie in der Verfassung stand, feierte. Die Weimarer Verfassung schützte ausdrücklich die Meinungsfreiheit. Was, wenn dieser Freiheit aber gar nicht mehr ausreichend Raum gegeben wird? Ich bin mir sicher, Sie stimmen mir zu: Damals wie heute ist Qualitätsjournalismus in gedruckter Form für sehr viele Menschen noch eine bewährte, vertrauenswürdige und zuverlässige Informationsquelle, um für sich politische Entscheidungsprozesse zu bewältigen. 

Das alles spricht überhaupt nicht gegen digitale Angebote. Ich bin sicher: Diese werden zunehmend kommen, wenn auch Anschluss und Geschwin-digkeit des Netzes Schritt halten. Soweit – das räumen Sie selber ein – ist es aber in vielen ländlichen Gebieten Thüringens noch nicht.

Wir haben nicht nur 100 Jahre Weimar in Thüringen gefeiert, wir feiern in diesem Jahr auch 30 Jahre Friedliche Revolution – und damit nach einer zweiten Diktatur die erneut und hart erkämpfte Meinungsfreiheit und Mei-nungsvielfalt und den demokratischen Austausch über unterschiedliche gesellschaftliche Positionen und Sichten. Nicht nur, aber auch den Zeitungsverlagen fällt dabei eine wichtige Rolle zu. Mit dem Informationsaustausch in alle Richtungen schaffen sie den notwendigen Kit, der die Gesellschaft zusammenhält. Thüringerinnen und Thüringer identifizieren sich mit ihrer Heimat, sie möchten die Belange ihrer Kommunen und ihres Landes vorneweg auf den Titeln sehen. 

Ich möchte nicht, dass Zeitungen zuhause und aus dem öffentlichen Raum verschwinden. Dass sie fehlen, sei es beim Bäcker, in Arztpraxen, in Schul- oder Stadtbibliotheken. Ich hoffe sehr, dass Sie andere Wege finden, um betriebswirtschaftliche Erwägungen mit dem Grundbedürfnis nach nied-rigschwelliger Meinungsvielfalt verbinden. Ich wünsche mir ein klares Be-kenntnis zur gedruckten Zeitung. 

Ihren Überlegungen sehe ich entgegen.

Mit freundlichen Grüßen
Anja Siegesmund