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„Alle reden über Strom. Aber Hidden Champion ist die Wärme.“ Thüringens Umweltministerin Anja Siegesmund im Interview für die effizienzia #26

Effizienzia: Thüringen hat als erstes ostdeutsches Bundesland ein Klimagesetz verabschiedet. Welche Rolle spielt darin das Thema Energieeffizienz?
Ministerin Siegesmund: Das Gesetz haben wir nach hartem Ringen im Dezember 2018 verabschiedet. Der Grund dahinter ist eigentlich auch eine volkswirtschaftliche Notwendigkeit, weil Energieeffizienz und Klimaschutz für mich nicht nur eine ökologische, sondern auch eine ökonomische Frage sind. Wir haben in Thüringen einen CO2-Fußabdruck von unter 5 Tonnen pro Kopf – das ist bundesweit spitze! Wir haben aber auch eine Arbeitslosenquote von unter 5 Prozent. Man kann also sagen: In Thüringen gelingt die Transformation, die andere noch vor sich haben. Ich wollte mit dem Klimagesetz auch zeigen, dass wir uns nicht darauf ausruhen wollen, sondern weitermachen wollen. Und was steht drin im Klimagesetz? 100 % Erneuerbare im Stromsektor bis 2040. Man muss sich das vorstellen wie zwei Buchdeckel und ein Inhaltsverzeichnis. Der Inhalt des Buches ist die Klimastrategie, die ganz viele Maßnahmen festschreibt. Da stecken ganz viele Energieeffizienzmaßnahmen drin, die haben wir in einem breiten Beteiligungsprozess mit den verschiedeneren Stakeholdern erarbeitet. 
Also das Gesetz setzt kein konkretes Energie-Einsparziel?
Das Ziel sind 100 % erneuerbare Energien im Stromsektor bilanziell bis 2040. Stand heute sind wir bei 60 Prozent. Alle reden über Storm. Aber der Hidden Champion ist die Wärme. Deswegen gibt es in der Klimastrategie auch einen Teil, der sich nur der Energieeffizienz im Wärmebereich widmet. Insgesamt acht Einzelmaßnahmen sind das. Zum Beispiel Optimierung und Ausbau der Energieberatung für KMU (Anmerkung der Redaktion: kleine und mittlere Unternehmen), Steigerung der Nutzung industrieller und gewerblicher Abwärme sowie die Steigerung der Ressourcen- und Materialeffizienz. Bei der Wärmestrategie geht es nicht nur um Unternehmen, sondern auch um Gebäudebesitzer. Ab 2030 sind alle Gebäudebesitzer in Thüringen laut Klimagesetz verpflichtet, so zu sanieren, dass sie auch Erneuerbare integrieren. Wenn Sie so wollen, ist das Klimagesetz eigentlich ein verkapptes Wärmegesetz – und damit auch der große Wurf beim Thema Energieeffizienz.

Bleiben wir bei den Champions. Würden Sie sagen, es gibt die eine Maßnahme in Thüringen, die richtig gut fliegt und Vorbild sein könnte für andere Länder? 
Es gibt eine kleine, aber feine Geschichte für Verbraucher, die für mich sehr wichtig ist. Wir machen die komplette Energieberatung, auch die Aufsuchende für alle Thüringer kostenfrei. Da sind wir das einzige Bundesland. Das ist gut angelegtes Geld. Denn: Jede Kilowattstunde, die eingespart wird, ist eine gute Kilowattstunde. Dann muss ich als Verbraucher aber auch einen Anreiz haben, meine Potenziale zuhause auch zu heben. Energieeinsparung ist ja vor allen Dingen etwas, dass das Portemonnaie schont. Über die kostenfreie Energieberatung tragen wir diese Message an alle Thüringer heran. Die Problematik ist im Moment leider, dass es nicht genügend Energieberater gibt. Das sollte auch ein vernünftig geschützter Berufszweig sein. Ich weiß, dass es ein dickes Brett ist, aber es würde Vertrauen schaffen. Und das brauchen wir dringend, damit die so wichtigen Sanierungen auch wirklich angereizt werden – da können Energieberatungen ein wichtiger Hebel sein. Deswegen wollen wir das so niedrigschwellig wie möglich machen und kompensieren die Kosten für die Verbraucherzentralen. Das kann ich eigentlich allen empfehlen, das bundesweit so zu machen. Und auch unseren Unternehmen greifen wir unter die Arme. Was absolut fliegt, ist unser Energieeffizienzprogramm GreenInvest. Damit können Unternehmen sich zum Beispiel Investitionen in energieeffiziente Anlagentechnik fördern lassen. Da gibt es wirklich tolle Beispiele. Zum Beispiel ein großer Porzellanhersteller. Der hat durch eine Investition in hocheffiziente Wärmerückgewinnung und Abwärmenutzung eine knappe Million Tonnen CO2 pro Jahr einspart. Von unseren ganzen Förderprogrammen kommt das am besten an und ist fast zehn Mal so groß im Wert wie die restlichen Programme. Klar: Wir haben 70.000 KMU und natürlich haben die alle ein Interesse daran, möglichst energieeffizient zu produzieren. Wichtig ist auch, dass eine entsprechende Energieberatung Voraussetzung ist für die Förderung. Gemeinsam mit dem Energieberater wird zuerst eine Priorisierung der sinnvollen Maßnahmen erstellt und dann erst die jeweiligen Maßnahmen gefördert. Und: der Energieberater begleitet das Unternehmen über den gesamten Prozess hinweg und die Maßnahmen und deren Ergebnisse werden gemeinsam evaluiert. In gut drei Jahren wurden so schon 1.100 Beratungen durchgeführt und insgesamt 40 Millionen Euro in die Steigerung der Energieeffizienz investiert. 

Sie haben viel von ihrer Wärmestrategie gesprochen, aber man muss ja auch Strom sparen. Um den CO2-Preis abzufedern, soll ja im Gegenzug der Strompreis entlastet Wie entstehen da noch Anreize, Strom zu sparen? 
Ganz klar ist auf jeden Fall: Es braucht eine CO2-Bepreisung. Die muss ökologisch wertvoll sein, aber auch ökonomisch sinnvoll und sozial gerecht. Unser Konzept liegt ja auf dem Tisch. Insgesamt heißt das, dass es für die diejenigen, die klimaschonend handeln, sogar einen Benefit geben kann. Das sind die 100 € Energiegeld, die wir vorgeschlagen haben. Wenn Sie als fünfköpfige Familie nicht drei Mal um die Welt fliegen und fleißig Energie sparen, profitieren Sie am Ende des Jahres sogar. Aber wir plädieren auch für eine Entlastung über den Strompreis, um die CO2-Bepreisung sozial gerecht zu gestalten.

Ist das nicht ein möglicher Anreiz zur Stromverschwendung?

Nein. Ich bin der festen Überzeugung, dass das kein Anreiz ist, Strom zu verschwenden. Dafür hat die Energiewirtschaft in den letzten Jahren eine Menge geleistet. Den Menschen ist klar, dass Strom eine Ressource ist, mit der man vernünftig umgehen muss – auch weil es ja trotzdem noch etwas kostet. Wir werden ja generell eine andere Art und Weise haben, wie wir uns energetisch aufstellen. Das schafft Bewusstsein.

Die Hoffnung habe ich auch. Aber sind Stromeffizienz-Maßnahmen aus der Mode geraten?
Nein, das glaube ich nicht. Wir bieten in Städten den sogenannten Stromsparcheck für Verbraucher an. Und wie erwähnt, ist die Energieberatung ja bereits kostenfrei. So zeigen wir den Thüringern schnell auf, wo es noch Potenziale zum Stromsparen gibt.

Vieles hängt ja von der Bundesebene ab. Beispielsweise das schon lange diskutierte Thema der Steuerförderung für energetische Gebäudemodernisierungen. Gleichwohl ist diese immer wieder am Widerstand verschiedener Bundesländer gescheitert. Gab es dazu schon Gespräche, wie sind wir da auf dem Weg und vor allem, wie wird sich Thüringen verhalten?
Wir befürworten steuerliche Anreize für Gebäudesanierungen seit Jahren. Und ich finde dieses einfache Bonmot des Sommers, es genügt, wenn wir Ölheizungen austauschen, ist genau die Rolle rückwärts, die wir absolut nicht gebrauchen können. Von Thüringer Seite aus haben wir das immer befürwortet, eben auch weil wir im Osten Sanierungswellen haben. Wir hatten die erste große Welle kurz nach der Wende in den Jahren 1990 bis 1995 und jetzt kommt langsam die nächste Welle. Dieses Gelegenheitsfenster wollen wir nutzen. Wir wollen konzentriert zum energetischen Sanieren aufrufen, die Leute begleiten und die Wohnungsgesellschaften dauerhaft dabei unterstützen. Da wäre die steuerliche Begünstigung ein enormer Hebel. Und im Übrigen hilft es auch, wenn es um die Akzeptanz geht. Bei der Energieeffizienz wird oft das Argument vorgeschoben, das sei ja sehr teuer. Davon müssen wir weg. Denn: Die Gebäudebesitzer profitieren ja von ihren Investitionen, und das gleichmehrfach. Diese Geschichte müssen wir erzählen und das würde mit einer zusätzlichen steuerlichen Begünstigung deutlich einfacher werden.

Hand aufs Herz: Wenn es zur Steuerförderung kommt, wären Sie bereits, Steuer-Mindereinnahmen hinzunehmen? Oder erwarten Sie einen Deal?
Also es geht überhaupt nicht um Steuer-Mindereinnahmen für die Länder. Sondern es geht darum, ein faires Paket zu schnüren, sodass Handlungsfähigkeit in den Ländern gewährleistet wird und auf der anderen Seite der Bund endlich seiner Verantwortung gerecht wird. Man muss das vernünftig miteinander aushandeln und dann vernünftig investieren. Denn: Das ist gut fürs Klima und gut für Wirtschaft und Beschäftigung in der Region. Alle Welt redet über den Kohleausstieg und für viele ist Energiewende gleich Stromwende. Leider wird viel zu selten über Wärme und Gebäude gesprochen. Das gehört eigentlich auch auf die Oberfläche der Debatte.

Vorbilder sind ja auch immer wichtig. Wie sieht es da mit ihren öffentlichen Gebäuden in Thüringen aus? Gehen Sie da als Vorbild voran bei der energetischen Sanierung?
Ja, wir verstecken uns da keineswegs. Bis 2030 sollen die entsprechenden Landesgebäude klimaneutral sein. Übrigens auch, weil es schlicht und ergreifend Geld spart. Also nicht nur, weil wir etwas für Energieeffizienz und Klimaschutz tun wollen, sondern auch für den Thüringer Haushalt. Auch hier sind wir gerade dabei, dass die THEGA (Anm. d. Redaktion: Thüringer Energieagentur) alle Gebäude einzeln kartiert. Bisher wissen wir noch nicht einmal, was unsere Gebäude eigentlich genau verbrauchen. Wir müssen also erst einmal eine Datengrundlage schaffen. Gemeinsam mit den Energieberatern wollen wir dann quasi einen Sanierungsfahrplan für unsere Landesliegenschaften erstellen. Und was wir nicht schaffen, wird dann ab 2030 kompensiert. Im Gesetz steht: Was du bis 2030 nicht schaffst, musst du kompensieren – und das kostet natürlich Geld. Mit anderen Worten: Energieeffizienz können wir jetzt nicht links und rechts liegen lassen, sonst muss das Land am Ende ordentlich draufzahlen.

Zum Abschluss: Beim Klimaschutz geht es ja auch immer um Akzeptanz beim Bürger. Sie sagen, Klimaschutz in Thüringen ist ein Erfolgsmodell. Wie bekommen wir die Leute, gerade auch im Osten, mitgenommen? 
Schwierige Frage, das ist nicht einfach zu beantworten. Eine Sache ist, indem wir mehr mit den Menschen darüber reden, was es für Vorteile es für sie konkret hat, sich klimaschonend zu verhalten. Das machen wir mit unserem Klimapavillon. Wir haben ein eigenes Gebäude, das aussieht wie ein UFO. Das zieht durch Thüringen und diese Woche ist zum Beispiel Harald Lesch dabei und klärt die Thüringer über Klimathemen auf. Zudem versuchen wir möglichst niedrigschwellig Beratung anzubieten, wie vorhin bei der Energieberatung erwähnt. Dritter Punkt: Es reicht nicht, ein Gesetz zu verabschieden und Ziele zu formulieren. Man muss auch wirklich sagen, wie das genau gehen soll. Deswegen unsere Förderprogramme für Kommunen und Unternehmen.

– Das Interview wurde am 23. Oktober 2019 unter www.deneff.org/inhalte/aktuelles-detailansicht/archive/2019/23/october/article/thueringens-umweltministerin-anja-siegesmund-im-interview-fuer-die-effizienzia-26.html veröffentlicht.–